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WAWE 10000: Kritik an neuem Super-Wasserwerfer


WAWE 10000: Kritik an neuem Super-Wasserwerfer

Von dapd
29.11.2010Lesedauer: 5 Min.
Neuer WAWE 10000Vergrößern des BildesNeuer WAWE 10000 (Quelle: Rosenbauer)
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Am Montag wird der Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag zum Einsatz im Stuttgarter Schlossgarten vom 30. September mit der Befragung der Polizeiführung fortgesetzt. Bei der Frage, wer für den Einsatz politisch verantwortlich ist und ob er angemessen war, dürfte auch der Wasserwerfereinsatz zur Sprache kommen, infolgedessen mehrere Menschen zum Teil schwere Augenverletzungen erlitten. Und die Wasserwerferflotte bei den Bereitschaften der Polizei wird gegenwärtig modernisiert.

WAWE 10000: Hamburg bekommt Super-Wasserwerfer

Das geht aus einer aktuellen Antwort der Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Links-Fraktion hervor, welche der dapd vorliegt. Hamburg ist nach dapd-Informationen neben Sachsen das erste Bundesland, das neue, größere und leistungsfähigere Wasserwerfer bekommt. Und nicht nur manche Polizeibeamte sehen das skeptisch.

WAWE 10000 ist panzerartiges Monstrum

Der neue Wasserwerfer (WAWE) 10000 übertrifft seine Vorgänger an Leistung deutlich. In Hamburg soll das erste Fahrzeug "noch in diesem Jahr" indienstgestellt werden, sagt Sprecher Mirko Streiber. In Internetforen wird die Schlagkraft "des neuen Kollegen" bereits bejubelt. Allein die technischen Daten des WAWE 10.000 zeigen, dass dies kein Polizeifahrzeug im herkömmlichen Sinn mehr ist, sondern eher ein panzerartiges Monstrum: zehn Meter lang, fast vier Meter hoch, bis zu 31 Tonnen schwer, über 400 PS, 10.000 Liter Wasser an Bord. Bei einem Wasserdruck von zehn bar können damit 3300 Liter Wasser verschossen werden - pro Minute. Reichweite nach vorn: 65 Meter. CN- oder CS-Tränengas können beigemischt werden.

Ärzte waren vor Wasserwerfer

Der Chefarzt der Stuttgarter Augenklinik, Egon Georg Weidle, kennt inzwischen die Wirksamkeit der momentan gebräuchlichen Wasserwerfer. Er hat den schwer verletzten "Stuttgart-21"-Gegner Dietrich Wagner behandelt: "Derartige Verletzungen durch Wasserwerfer habe ich in 30 Jahren ärztlicher Tätigkeit noch nicht erlebt", sagt er. Der aus den Augenhöhlen blutende Rentner Wagner - dieses schockierende Bild des Polizeieinsatzes hat sich eingeprägt.

"Gefährliche Waffe"

Der Medizin-Professor Weidle will sich mit politischen Fragen nicht beschäftigen: "Ich werde mich nicht mit erhobenem Zeigefinger hinstellen und der Polizei vorwerfen, dass sie etwas falsch gemacht hat." Aber als Wissenschaftler hat er eine klare Position. Vier Patienten waren wegen Wasserstrahl-Verletzungen allein in seiner Klinik. Wagner traf es am schlimmsten: der Augenhöhlenboden, ein Knochen unter dem Auge, war gebrochen, Linse und Netzhaut schwer geschädigt. Für Weidle steht fest, "dass dies eine gefährliche Waffe ist, die ein hohes Verletzungsrisiko für den Kopfbereich und insbesondere die Augen birgt".

Polizei spricht sich für Wasserwerfer aus

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hält dagegen: "Der Wasserwerfer ist ein bewährtes Mittel, auf das wir auf keinen Fall verzichten wollen." Er erinnert daran, dass die Beamten etwa bei der alljährlichen Randale zum 1. Mai in Hamburg oder Berlin, wenn Chaoten "uns mit Steinen, Brandsätzen oder Flaschen bewerfen", auf diese Distanzwaffe angewiesen seien: "Nur so können wir uns die wirksam vom Hals halten."

78 neue WAWE geplant

Nach Angaben der Bundesregierung ist geplant, bis 2019 insgesamt 78 neue Wasserwerfer zu beschaffen, 20 für die Bundespolizei, 58 für die Bereitschaftspolizeien der Länder. Zu dem Verletzungspotenzial des neuen Gerätes erfährt man bei den Polizeibehörden nichts. Nach Angaben der Bundesregierung ist die Leistung des neuen Wasserwerfers nicht größer als die des Vorgängertyps. Auf die entsprechende Frage der Links-Fraktion heißt es: "Der Pumpendruck des Wasserwerfers 10000 ist identisch mit dem des Wasserwerfers 9000."

Wasserwerfer kann "problemlos eine Fensterscheibe zerschießen"

Bei der Feuerwehr, die über vergleichbar starke Fahrzeuge verfügt, hat man eine ungefähre Vorstellung: "Wir arbeiten mit unseren B- und C-Strahlrohren zwar meist mit Sprühstrahl zum Löschen. Da sind acht bar Druck drauf", sagt Christian Kunitzki, Sprecher der Berliner Feuerwehr. "Mit einem Vollstrahl kann man aber auch ein Auto wegschieben." Und nicht nur die Pumpenleistung ist entscheidend für die Stärke des Wasserstrahls, sondern auch die Art der verwendeten Düse. Mit dem auf einer Drehleiter eingesetzten Wasserschlauch könne die Feuerwehr "problemlos eine Fensterscheibe zerschießen", sagt der Feuerwehrsprecher.

Innenministerium gibt sich ausweichend

Die Frage nach dem möglichen Verletzungsrisiko beantwortet das Innenministerium eher ausweichend. Grundsätzlich sei "die Besatzung in der Lage, die Strahlstärke in Abhängigkeit zur Entfernung zu regulieren. Hierfür werden die Besatzungen umfassend fortgebildet". Davon ist man auch bei der Deutschen Polizeihochschule in Münster-Hiltrup überzeugt: "Aus meiner Sicht hat die Entwicklung der Polizeidienstvorschriften mit dem technischen Fortschritt, auch dem von Wasserwerfern, mitgehalten", sagt Günther Langer, zuständig für den Bereich Waffen- und Gerätetechnik. Auch Besatzungen mit Beamten aus verschiedenen Bundesländern seien unproblematisch: "Die für den Einsatz von Wasserwerfern maßgebliche Polizeidienstvorschrift (PDV) 122 ist für alle Länder und den Bund gleich."

Wasser gegen "Störer"

Diese sei, so der Polizeirechtler Dirk Heckmann von der Universität Passau, dem Stand der Technik angepasst und entschärft worden. Unter Ziffer 4 der PDV - quasi die Gebrauchsanweisung für Wasserwerfer - hieß es früher: "Zum Wasserstoß ist der Wasserstrahl in voller Stärke unmittelbar auf die Störer zu richten." Die Worte "in voller Stärke" seien gestrichen und stattdessen hinzugefügt worden, dass "insbesondere bei den neuen Wasserwerfern die Stärke des Wasserstrahls an der Entfernung zum Störer orientiert werden" solle, so Heckmann.

Verletzungsrisiko soll berücksichtigt werden

Der Professor verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 07.12.1998 - 1 BvR 831-89). Bei der Wahl der Zwangsmittel sei die Polizei danach verpflichtet, die Folgen ihrer Eingriffe möglichst schonend für die Betroffenen zu gestalten und Maßnahmen zu ergreifen, die nicht zu erkennbar unverhältnismäßigen Nachteilen führten. Als milderes Zwangsmittel sei das Wegtragen der Demonstranten zu erwägen. Im Rahmen der Entscheidung, Wasserwerfer einzusetzen, müsse insbesondere das damit einhergehende Verletzungsrisiko berücksichtigt werden.

Wasserstöße in Intervallen

Das erfordere eine Einsatzweise, die es den Betroffenen zumindest ermögliche, Verletzungsgefahren zu entgehen. Dies erfordert, so die Karlsruher Richter, ein stufenweises Vorgehen, nämlich die vorherige Androhung des Wasserwerfereinsatzes, lediglich in Intervallen abzugebende Wasserstöße und die allmähliche Steigerung des Wasserdrucks sowie die Erkennbarkeit der Wasserdrucksteigerung.

Verletzungen können "nie ausgeschlossen werden"

Ein Polizeibeamter, der namentlich nicht genannt werden möchte, betont auf dapd-Anfrage, dass "ein präzises Zielen mit einem Wasserwerfer gegen einzelne Personen gar nicht möglich" sei. Das bedeute umgekehrt aber auch, "dass schwere, im Unglücksfall auch tödliche Verletzungen einzelner Störer nie ausgeschlossen werden können". Bei der Berliner Polizei heißt es, seit über zehn Jahren sei kein Wasserwerfer mehr eingesetzt worden, trotz Mai-Randale. Man setzt lieber auf "beweissichere Festnahmen" von Störern. Das sei fast immer effektiver als eine große Wasserkanone.

Politiker sind skeptisch

Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans hält die Einsätze prinzipiell für unverantwortlich: "Nach Heiligendamm sind jetzt in Stuttgart das zweite Mal innerhalb relativ kurzer Zeit durch einen Wasserwerfereinsatz Demonstrationsteilnehmer schwer verletzt wurden, obwohl von ihnen keine Gefahr ausging. Die schweren Folgen zeigen: Wenn Menschen sich direkt im Schussfeld von Wasserwerfern befinden, ist ihre Wirkung nicht mehr sicher beherrschbar." Die Linke-Politikerin Ulla Jelpke, unter deren Federführung die Anfrage an die Bundesregierung gestellt wurde, sieht in der Neubeschaffung "ein Signal für verstärkte Eskalation wie zuletzt anlässlich der Proteste gegen Stuttgart 21 und den Castor-Transport".

Stuttgart-21-Opfer wird "zeitlebens schwer behindert bleiben."

Der Augenmediziner Weidle will noch in diesem Jahr einen wissenschaftlichen Aufsatz über die Verletzungsrisiken veröffentlichen: "Möglicherweise legen die noch wissenschaftlich darzustellenden Verletzungen den Schluss nahe, dass bezüglich des Einsatzes von Wasserwerfern Konsequenzen zu ziehen sind", sagt er. "Die Fakten sprechen für sich." Dietrich Wagner wird das nichts mehr nützen. Trotz mehrerer Operationen wird er "voraussichtlich auf beiden Augen stark sehbehindert bleiben. Er kann nur noch Umrisse wahrnehmen", sagt Weidle. "Der Patient Wagner wird zeitlebens schwer behindert bleiben."

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